Die Glut unter der Asche entdecken

 

 

 

Der Videovortrag von Bernhard Ott (Herbst 2020)

zur Geschichte der ETG und Perspektiven kann auf Youtube angeschaut werden.

(Quelle: ETG Diessbach)

 

Link zum Video: https://youtu.be/qzqJCRuZimQ

 

Hier kann der Vortrag auch als Audio angehört bzw. heruntergeladen werden.

geschichte_der_etg_und_perspektiven_bernhard_ott_etg_diessbach_2020.mp3

Das Feuer weitergeben

 

27.08.2020
von Bernhard Ott
Freischaffender Dozent, Referent

Wenn wir in die Vergangenheit des ETG-Bundes blicken, wird uns klar: Das Inspirierende und bleibend Gültige an unserer Tradition ist nicht die Art und Weise, wie die alten Täufer im 16. Jahrhundert oder Samuel H. Fröhlich, der Gründer unserer Bewegung, im 19. Jahrhundert ihren Glauben gelebt haben. Das Feuer ist vielmehr die Radikalität mit der sie uns zurück zu den Wurzeln, zu Jesus verweisen.

Man kann es mit sechs Stichworten umreißen:

  • Eine Gemeinschaft von Männern und Frauen, die miteinander die Bibel lesen und in die Tat umsetzen, was sie entdecken.
  • Eine Lebensgestaltung in der Nachfolge von Jesus, die sich an der Bergpredigt orientiert.
  • Die Verwirklichung von gelebter Gemeinschaft, wie es die ersten Christen taten - bis hin zum Teilen von materiellen Gütern.
  • Eine Laienbewegung von Brüdern und Schwestern, die mehr dem Heiligen Geist als kirchlichen Hierarchien vertraut.
  • Den Frieden suchen, die Feinde lieben und aller Gewaltanwendung absagen, ganz so, wie Jesus es tat.
  • Eine Gemeinschaft, die sich von Jesus in die Welt senden lässt, um Menschen in die Gemeinschaft mit IHM einzuladen.

Im Laufe der Jahrhunderte ist dieses Feuer unter der Asche von Traditionen manchmal (fast) erstickt: Weltabsonderung, geschlossene Gemeinschaften, Gesetzlichkeit und interne Auseinandersetzungen – das tragen wir auch im Rucksack unserer Geschichte. Dankbar stellen wir aber fest, dass Gott unserer Gemeindebewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Aufbruch geschenkt hat. Wir haben Altlasten hinter uns gelassen und uns auf den Weg gemacht, eine freie, offene, zeitgemäße und einladende Kirche zu werden. Auf diesem Weg gilt es weitere Schritte zu gehen …

Dennoch müssen wir uns der Frage stellen: Haben wir auf diesem Weg möglicherweise mit der Asche auch manche Glut weggeräumt? Manche Zeichen der täuferischen DNA sind noch zu sehen, wie  Gemeinschaftssinn und Gastfreundschaft. Funktionale Gemeindehäuser, in denen der Speisesaal ebenso wichtig ist, wie der Gottesdienstraum. Das gemeinsame Mittagessen. Altenheime und Freizeithäuser. Eine hohe Bereitschaft aller zur Mitarbeit - bis heute gehört dazu auch der Dienst von Laienpredigern. Erachten wir all dies als Asche oder als Glut? Als Hindernisse auf dem Weg in die Zukunft oder als oftmals brachliegendes Potenzial?

 

Die Glut unter der Asche entdecken

In einer Zeit, in der traditionelles und institutionelles Christentum zunehmend zum Auslaufmodell wird, ist die täuferische Tradition wie ein Schatz, den es wieder zu entdecken gilt. Unsere täuferischen Vorfahren weisen uns radikal zu Jesus. Die Glut unter der Asche heißt „jesuanisch  leben“! Ich träume von christlichen Lebensgemeinschaften, die einfach und überzeugend so leben, wie Jesus es gelehrt und vorgelebt hat. Die mit ungeteiltem Herzen dem guten Vater im Himmel vertrauen. Vertrauend, dass er für sie sorgt, so dass sie frei sind, gastfreundlich und großzügig mit anderen zu teilen, was sie haben. Die an der Ungerechtigkeit in unserer Welt leiden und den Wohlgeruch von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit verbreiten. Die dem Fremden gastfreundlich begegnen und die Feinde lieben. Die sich nicht in ihren religiösen Gemäuern verschanzen, sondern bei den Menschen sind – da wo sie leben und arbeiten, feiern und leiden. Die ein Hoffnungszeichen setzen in dieser Welt, wie eine weitherum sichtbare, einladende Stadt auf dem Berg wahrgenommen wird. Die unerschrocken und im Angesicht aller Herren dieser Welt bekennen, dass Jesus Christus Nummer 1 in ihrem Leben ist. Die in Anbetung und Verkündigung, in Gottesdienst und Abendmahl nicht nur die individuelle Frömmigkeit, sondern die Not der Welt vor Augen haben. Die um ihr eigenes Versagen und ihre eigene Mangelhaftigkeit wissen und in kühner Demut bekennen, dass sie durch Jesus Christus einen liebenden und vergebenden Gott kennengelernt haben. Die in aller Gebrochenheit auch Vergebung und Versöhnung untereinander erfahren. Die sich sehnlichst wünschen und täglich beten: „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf der Erde.“

Der Wind Gottes möge in die Glut unserer Tradition blasen, die Asche wegblasen und das Feuer immer wieder neu entfachen.

Quelle: etg.church

Gott will, dass unsere Gemeinden wachsen!

 

28.05.2020
von Thomas Dauwalter
Pastor & Sämann, Verbandsleiter Bund ETG

Anfang der 90er Jahre ist mir ein Buch zum Thema Gemeindewachstum in die Hände gefallen. Der Klassiker trägt den verheißungsvollen Titel „Gemeindewachstum verstehen“ und der Inhalt hatte mich so gepackt, dass ich es fast nicht mehr aus den Händen legen wollte. Ein Satz ist bis heute bei mir hängen geblieben: Gott will, dass unsere Gemeinden wachsen. Diese Aussage wurde zur treibenden Kraft meines Dienstes. Die Schöpfung ist auf Wachstum und Vermehrung angelegt. Gott will, dass immer mehr Menschen Jesus durch uns kennenlernen und ihm nachfolgen.

 

Was Gott will, will ich auch!

Also haben wir begonnen, unseren Gemeindealltag stärker an jenen Menschen auszurichten, „die noch nicht da sind“. Gott hat schließlich auch alles drangesetzt, die Menschen zu erreichen, die noch nicht mit ihm leben. Jesus ist der Höhepunkt dieses Handelns Gottes. In Jesus kommt Gott zu uns. Mit der Zeit wurde mir bewusst, dass es nicht primär um quantitatives Wachstum geht - obschon sogar in der Apostelgeschichte immer wieder mit Zahlen hantiert wird - sondern um qualitatives. Qualitatives Wachstum zeigt sich in veränderten und erneuerten Leben von einzelnen Menschen, die in Gemeinschaft Licht und Salz für die Welt sind. Die Frucht des Geistes ist sozusagen der Gradmesser: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung (Gal 5,22 und 1.Kor. 13). Klar ist aber auch: wenn qualitatives Wachstum in diesem Sinne gelebt und von anderen gesehen wird, ist quantitatives Wachstum nicht aufzuhalten. Gemeinde ist dann ein familiäres Miteinander, welches die Liebe Jesu zum Vorbild hat und durch die Kraft des Heiligen Geistes gestaltet wird. Gemeinde hat einerseits eine Botschaft, ist andererseits durch ihr Leben Botschaft der Liebe und der Versöhnung nach Gottes Vorbild. Zu solchen Gemeinschaften, die im Kontrast zu ihrem Umfeld stehen, fühlen sich Menschen hingezogen, insbesondere in einer hyperindividualisierten Gesellschaft. In solchen Gemeinden werden Menschen zudem zugerüstet, die Liebe Gottes in ihrem persönlichen Umfeld weiterzugeben.

 

Ehrliches Interesse

Zurück zum Anfang: Nach 25 Jahren Dienst als Pastor bin ich nach wie vor angetrieben von Gottes Wunsch, dass unsere Gemeinden wachsen. So kämpfe ich darum, dass wir in unserer Gemeinde auf der Lindenwiese eine Kultur des Wachstums pflegen. Die Fragen und Anliegen der Menschen, die noch nicht da sind, sollen im Aufblick auf Gott (beten) und mit dem Blick in die Bibel, zur Sprache kommen. Und zwar aus ganz ehrlichem Interesse an den Bedürfnissen unserer Mitmenschen. Wenn wir das nicht tun, beantworten wir in unseren Gemeinden Fragen, die keiner gestellt hat und versuchen, nicht vorhandene Bedürfnisse zu stillen. Zuhören ist eines der größten Geschenke, welches wir anderen Menschen machen können. Daraus folgt, dass wir für sie beten und zusehen, wie Gott bei ihnen zu wirken beginnt. So werden wir und auch diese Menschen selbst, Teil des Wirkens Gottes.

 

Säen, so als läge es an uns

Ein Gleichnis von Jesus (Markus 4,26-29) wurde mir an diesem Punkt zur Wegweisung: Der Bauer geht auf den Acker und sät. Nach getaner Arbeit legt er sich schlafen, steht wieder auf und das tagaus, tagein. Währenddessen wächst die Saat ohne sein Zutun heran. Ganz von selbst lässt die Erde die Frucht aufgehen. Sobald aus der Saat erntereifes Getreide geworden ist, lässt der Bauer es abmähen. Säen und ernten muss der Bauer. Das ist sein Beitrag und diesen muss er mit ganzem Engagement und Hingabe leisten. Er kann die Frucht nicht wachsen lassen, sie wächst „automatisch“, besser gesagt, dies ist Gottes Part. Alles beginnt ganz klein und unscheinbar.

Mit der Bibel in der einen Hand und der Tageszeitung in der anderen, mit wissenschaftlichen Methoden, Studien zum sozialen Umfeld und strategischen Überlegungen wollen wir arbeiten, als käme es allein auf unser Tun an. Gleichzeitig wollen wir beten, als käme es allein auf Gott und sein Tun an. So will ich gelassen und zielorientiert Gemeinde bauen.

Quelle: etg.church

Bücherempfehlungen:

 

Diese Bücher können im Büro der ETG Bern bezogen werden:

 

- Ott, Bernhard. Missionarische Gemeinde werden. Der Weg der Evangelischen Täufergemeinden. Verlag ETG. 1996

- Ott, Bernhard. Shalom. Das Projekt Gottes. Agape Verlag. 1996

- Hover, Peter. Feuertaufe. Das radikale Leben der Täufer - eine Provokation. DE Verlag. 2006

- Ott, Bernhard. Die Kirche. 7 Gründe warum ich sie liebe. Neufeld Verlag. 2007

- Stuart, Murray. Nackter Glaube. Christsein in einer nachchristlichen Welt. Neufeld Verlag. 2014

- Ott, Bernhard. Tänzer und Stolperer. Wenn die Bergpredigt unseren Charakter formt. Neufeld Verlag. 2019